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BIERKULTUR
 BIERKULTUR
 Das Siegel des Bürgerspitals
Vorläufer des Wurstelpraters
Ebenso erfolgreich wie das Bürgerspital mit seinen Braustätten war Michael Ainöther mit seinem im Jahr 1603 gegründeten Praterwirtshaus. Der Legende nach soll er von „kleinem und schlechtem Wuchs“ gewesen sein, was aber ja nicht sein Talent als einfallsreicher und humorvoller Gastgeber schmälert. Letzteres lässt sich mit der damaligen Inschrift über dem Eingang seines Lokals belegen: „Gott behuet dies Haus so
lang, bis ein Schneck die Welt umgang. Und eine Ameis‘ dürst so sehr, daß’s austrinkt das ganze Meer.“ Ainöthers damit dargelegter Wunsch nach einem möglichst langen Bestand seines Gastro-Unternehmens sollte sich tatsächlich erfüllen: aufgrund des großen Andrangs muss- te die Gaststätte noch im Sommer des Jahres 1603 vergrößert werden. Viele Jahre später ist um das einstige Wirtshaus dann noch ein richtiges Vergnügungsareal entstanden, das bei den Wienern als „Lustwaldl“ bekannt war. Es verfügte über meh- rere Wirtshäuser, Kegelbahnen, einfache Kleinkunst- bühnen, Schaukeln und Puppentheater für Kinder. In letzteren spielte der lustige Hanswurst die Hauptrolle – nach dem später auch der „Wurstelprater“ benannt
werden sollte. (Erklärung siehe auch unterer Rahmen)
Ein turbulenter Beginn
Am 7. April des Jahres 1766 gab der junge Kaiser Joseph II., der trotz seines Titels rangmäßig seiner Mutter Maria Theresia unterstellt war, die kaiserlichen Prater-Jagdgründe für das allgemeine Volk frei. Laut seinem Dekret sollte es: „...niemanden verwehrt seyn, sich daselbst mit Ballonschlagen, Keglscheiben, und andern erlaubten Unterhaltungen eigenen Gefallens zu divertiren...“. Das Publikumsinteresse war enorm und das „Lustwaldl“ bald vergessen. Angesichts der bisher geschilderten Verhältnisse lässt sich leicht er- ahnen, welche zwei Attraktionen in der grünen Au jetzt zuallererst ihre Zelte aufschlugen: es waren eine Bierausschank und ein Kasperl-Theater ;-) Am ersten Besuchstag stellten sich auch umgehend die gesell- schaftlichen Begleiterscheinungen ein, vor denen die Gegner des liberalen Öffnungsschritts gewarnt hatten: 102 Pärchen sind wegen unzüchtigen Hand- lungen festgenommen worden – ungeachtet dessen, dass auch mehr als 2.000 Prostituierte in den Seiten- alleen ihre Dienste angeboten hatten;-) Um diesem Tohuwabohu Einhalt zu gebieten, wurden rasch eini- ge Regeln etabliert: So durften die Ausflügler fort- an nur bis Sonnenuntergang, und das auch nur im Sommer, durch den Prater spazieren. Danach wurde
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  26 S tyles MAGAZINE
  Hanswurst – Namensvetter des ‘Wurstelpraters’
Die Bühnenrolle des Wienerischen Hanswurst wurde am Beginn des 18. Jahrhunderts vom gelernten, steirischen Zahn- arzt Joseph Anton Stranitzky kreiert, der sich gleichzeitig als Schauspieler und Weinhändler verdingte. Ob er es in seiner erlernten Profession einfach an Talent mangeln ließ, oder er ohne beruhigende Spritzen und modernen Bohrgerät bei seinen damaligen Zahnpatienten überwiegend chancenlos war, sei dahin gestellt ;-) Doch Spass beiseite: zur akademi- schen Ehrrettung Stranitzkys muss bedacht werden, dass zur selben Zeit etwa am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. jegliches Lächeln verpönt war. Obwohl der französische König Fortschritte in der Zahnmedizin intensiv förderte, war es allgemein um die Zahngesundheit so schlecht bestellt, dass sich beim Lächeln kaum jemand eine sichtbare Blöße ge- ben wollte. Unter diesem Gesichtspunkt ist Stranitzkys letztendliche Entscheidung fürs Schauspielfach verständlich, zu- mal er dort immerhin auch neue Akzente setzen wollte. So passte er die, seit dem 16. Jahrhundert bekannte, clowneske Hanswurst-Rolle den heimischen Verhältnissen an und gestaltete deren Bühnen-Outfit als eine abgewandelte Lungauer Bauerntracht mit roter offener Jacke, gefältetem Kragen und grünem Spitzhut. Die derben Späße und Anzüglichkeiten des oft in einer Diener-Rolle auftretenden Hanswurst fanden in Wien so großen Anklang, dass Stranitzky bereits 1711 das Kärntnertor-Theater für seine Alt-Wiener ‘Wurstel-Komödien‘ pachten konnte.
Die exzessiven Charakterzüge eines Hanswurst boten sich aber auch für die Darstellung im Rahmen eines Puppenspiels an. Hier konnten „mächtige böse Gegenspieler“ handfest und ungeniert verprügelt werden, ohne gleich die gesamte Hand- lung allzu ernst nehmen zu müssen. Stücke dieser Art fanden großen Anklang beim ausgelassenen Praterpublikum, sodass
  


















































































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